Eine Kurzgeschichte von Sascha Vennemann

London, Großbritannien, 8. Februar 2012

»Und jetzt alle: ›It’s the end of the world as we know it, it’s the end of the world as we know it›… Ladys and Gentlemen, Kinder, Haustiere und sonstige, die ihr heute wieder einmal euer Radio eingeschaltet habt: Das, meine Freunde, waren ›R.E.M.‹, und selten hat dieser Song so gut gepasst wie heute. Ihr wisst ja: Das Ende der Welt ist nahe!

Für alle Schnarchnasen, die ihren ganz persönlichen Weltuntergang schon gestern Abend gefeiert und erst jetzt ihren Rausch ausgeschlafen haben: Eure zittrigen Finger haben soeben den Einschaltknopf eures Radios gefunden! Genau, das Ding mit der Antenne, und nicht diese Internet-Kisten, die jetzt sowieso nicht mehr funktionieren.

Hier ist der Piratensender mit dem formschönen Namen Götterdämmerung – Armageddon FM! Wuhuu, spooky, ich weiß! Weil draußen unsere lieben Bobbys mehr damit beschäftigt sind, ihren eigenen Arsch zu retten, kann ich euch ja jetzt auch verraten, dass ich hier im Londoner East-End in meinem Keller sitze und euch die letzten Stunden vor dem Kometeneinschlag mit den besten Songs der Apokalypse versüße.

Ach ja, draußen geht die Welt vor die Hunde, und ich will nicht wissen, aus wie vielen Ghetto-Blastern diese Sendung erschallt, die ihr Penner aus den Elektroläden geklaut habt! Sei’s drum… Wenn ihr meine Meinung hören wollt – und das tut ihr, sonst hättet ihr mir längst den Saft abgedreht oder wärt hier eingebrochen, um mich zu lynchen – dann ist das eh alles egal.

Habt Spaß! Hört noch ein bisschen guten Sound, bevor es zu Ende geht – und seid dabei friedlich, andere wollen auch in Ruhe sterben! Leute, wenn ihr wie ich noch ’ne gute Flasche Wein im Keller rumliegen habt – für besondere Anlässe – dann wäre es doch eine gute Gelegenheit, sie genau jetzt mit euren Lieben zu kippen.

Macht euch locker für den Kometen! Nennt mich zynisch, aber aus diesem Grund spiele ich jetzt für euch ›Relax‹ von ›Frankie goes to Hollywood‹. Den Song konnte ich eigentlich nie leiden, aber wenn ich dran denke, dass es möglicherweise das letzte Mal ist, den Song On-Air zu bringen, dann wird mir ganz anders.

Während ihr lauscht, gehe ich mal in das nächste Pub und breche den Zigarettenautomaten auf – wenn schon krepieren, dann in vollen Zügen! Und damit meine ich nicht die der London Underground, alles klar? Hahahaha! Also, bis gleich! Hau rein, Frankie!«


So, da bin ich wieder. Den Arm voller Glimmstängel, das reicht für die nächsten Stunden. Und falls mir die Streichhölzer ausgehen, dann frag‘ ich den Kometen nach Feuer, haha!

Im Ernst, Leute, ist das zu fassen? Irgend so ein Idiot hat mir doch tatsächlich meine Karre geklaut! Gerade kam ich nach oben, und das Auto war weg. Ein paar Glassplitter vom Seitenfenster lagen noch da, kaum zu erkennen in dem Durcheinander von Müll und den Scherben von Schnapsflaschen. Was für eine Aktion!

He, Mr. Autodieb! Falls du nicht das Radio abgeschaltet hast, das ich in weiser Voraussicht schon mal auf die Frequenz meines kleinen Senders eingestellt habe, dann hörst du mir jetzt sicher zu. Ich hab‘ ’ne schlechte Nachricht für dich! Wahrscheinlich stehst du in irgend ’nem hoffnungslosen Stau und versuchst aus der Stadt zu kommen. Guter Plan, Mann! Schon mal auf die Tankanzeige geguckt? Schade, was?

Und hast du eventuell auch nur mal einen Moment darüber nachgedacht, wie wenig es dir bringt, ein paar Kilometer weiter landeinwärts zu fahren? Alter, wir leben auf einer Insel!

Soll ich dir was sagen? Die Karre ist mir scheißegal! Auch du wirst nicht lange genug leben, um daran noch wirklich Freude zu haben – falls du nicht schon irgendwo tot herumliegst, weil du die Kurve kratzen wolltest, dabei im wahrsten Sinne des Sprichwortes an der Kurve gekratzt hast und man dich jetzt aus der Kurve kratzen müsste. Ihr wisst, was ich meine, oder?

Ach, zum Teufel damit. Und damit hätte ich die grandiose Überleitung zum nächsten Song. Hard-Rock für harte Zeiten! Hier sind ›Iron Maiden‹ mit ›Number of the beast‹. Wir sehen uns in der Hölle, Leute!«


»Und hier sind wir wieder! Aus der Reihe ›Sympathy for the devil‹ waren das ›Iron Maiden‹. Das nur als gut gemeinten Rat an all die ›eisernen Jungfrauen‹ da draußen: Vielleicht wäre heute genau der richtige Tag, um mit euren Prinzipien zu brechen? Hahaha!

Ach scheiße, ich klinge schon wie ein notgeiler alter Sack! Auch im Angesicht der nahenden Katastrophe sollte man nicht zum sabbernden Vollidioten mutieren! Wenn schon untergehen, dann mit Würde – und guter Musik!

Da soll es doch Leute geben, die haben schon immer gewusst, dass die Apokalypse naht! Anfang unseres Jahrtausends zum Beispiel gab es ein paar Skandinavier, die nur mit ihren Streichinstrumenten berühmte Metal-Stücke nachspielten, und ich gebe zu: Als ich so um die zwanzig Jahre alt war, habe ich auf deren Konzerten auch meine langen Haare fliegen lassen. Schaut mich heute an, die reinste Bowlingkugel! Und damit meine ich nicht nur meinen Bauch, sondern auch die oberste Etage, hahaha!

Wie auch immer, die Jungs nannten sich ›Apocalyptica‹, und wer so einen Namen hat, der ist genau richtig für den Soundtrack zum Ende der Welt!

Draußen wird es langsam ruhiger, habe ich gemerkt. Wird es schon wieder Nacht? Hat’s euch endlich allen die Sprache verschlagen? Na, dann hab‘ ich eine gute Nachricht für euch: Hier ist jemand, der nicht eher schweigt, bis nichts mehr geht!

Ich sage euch, was ich vorhabe, falls ich überleben sollte: Habt ihr mal den Film ›Der Omega-Mann‹ gesehen? Charlton Heston macht es sich als letzter Mensch in einer Großstadt gemütlich, fährt mit den geilsten Karren durch die Gegend und plättet Mutanten, wo es nur geht!

Das ist mein Plan. Ich werde hier unten aus meiner Sendehöhle kriechen, mir wenn möglich einen neuen SUV besorgen und quer durchs Land fahren, Konserven futtern – morgens Baked Beans und abends Corned Beef –, mich in einer Burg in Wales häuslich niederlassen und auf alles schießen, was sich bewegt! Jawoll!

So, Leute, und jetzt wird es Zeit, sich einen ordentlichen schottischen Whisky hinter die Binde zu kippen. Und was wäre besser, um sich zu betrinken, als good old stoned Jim Morrison mit seinen ›Doors‹, die uns mit ›The End‹ alle Türen öffnen, um galant den Abflug zu machen. Leg los, Jimmy…«


»So, Freunde. Jim ist am Ende, und ich bin immer noch hier. Ihr ebenfalls, hoffe ich, auch wenn der Song zugegebenermaßen zum Sterben schön ist.

Wisst ihr, wie ich hier so sitze, mit meinem Drink, den Zigaretten, den Platten und ganz alleine – da kann einem schon ganz anders werden. Ich hab‘ kurz drüber nachgedacht und denke, meine Dröhnungen reichen noch für ein paar Stunden – und auch für ein paar Leute. Wenn man den Wissenschaftlern glauben kann, die jetzt wahrscheinlich sicher und gemütlich in ihren Bunkern sitzen, nur um uns hier draußen im großen Toaster rösten zu lassen, dann haben wir noch ein bisschen Zeit zum Feiern.

Hier ist meine Adresse. Kommt vorbei! Wir machen es uns noch einmal so richtig schön. Ich lasse jetzt ’ne Stunde Musik durchlaufen und warte auf euch. Den Anfang machen ›Kool and the Gang‹ mit ›Celebration‹. Na, wenn das keine ›Motiväyschen‹ ist, oder? Hahaha! Bis später!«


»Freunde, ihr werdet nicht glauben was hier gerade passiert ist! Neben mir sitzt mein neuer bester Freund, dessen Namen ich grad‘ vergessen habe, aber das ist egal!

Mein neuer Freund hier ist von der Regierung und mit ein paar Soldaten hier aufgekreuzt. Haben sich durch die Strassen gekämpft und mit ihrem Panzerfahrzeug ein paar Karren beiseite geschoben. Und jetzt hat Mister Regierung mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen kann!

Sie wollen mich mitnehmen! In den verdammten Bunker! Weiß der Teufel, wie die da unten meine Frequenz reingekriegt haben, aber den Leuten hat’s gefallen! So gut gefallen, dass sie gefordert haben, mich abzuholen und mit ihnen zusammen unter der Erde dem Kometen meinen blanken Hintern zu zeigen! Yeah, Baby!

Die wollen mich für ihr geplantes Bunkerradio. Denn, mal ehrlich, es kann dort unten ganz schön langweilig werden, bis Mutter Natur sich von dem gewaltigen Bumms erholt haben wird, der ihr bevorsteht!

Hölle, die wollen mich als ihren Bunker-Radio-Diskjockey! Nicht so einen verdammten Spießer von der BBC, sondern mich armes verrücktes Würstchen mit der politisch unkorrekten großen Klappe!

Freunde, wie kann ich euch danken? Ich mache euch hier oben wenigstens ’ne ordentliche Playlist für die Sendeschleife. So viel Zeit muss sein, Mister Regierung! Und dann, mit etwas Glück, hören wir uns wieder – in einer anderen Welt!

Zum Abschluss also ein Song mit meiner persönlichen Abschiedsbotschaft. Leg los, Jamiroquai! Und jetzt alle: ›I’m going deeper underground…there’s too much panic in this town!‹«

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